[Weltweit umadum]

Langweilige Geschichte? Trocken, zäh und längst vergangen? Von wegen. Wer mit Dr. Peter Pirker über seine Arbeit spricht, wird sogleich gefangengenommen – von dessen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der hiesigen Region und der Geschichte der Menschen, die sie erlebt haben.

Im vergangenen Jahr erhielt der gebürtige Lienzer eine hohe Auszeichnung der Internationalen Kartografischen Vereinigung: den ersten Preis in der Kategorie „Digital Products“ für seine „Karte der Erinnerung“.
Die interaktive Web-Applikation zeigt 1.800 Erinnerungszeichen in Wien, die an die politische Gewalt des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus erinnern.
Und sein Buch „Schnappschüsse der Befreiung“ steht auf der Longlist 2021 für das Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie Geistes-/Sozial-/Kulturwissenschaft.

Interessant fand Pirker die Geschichte des Nationalsozialismus schon immer. Als Jugendlicher begann er Bücher zu lesen, während des Studiums fing er an, sich ausgiebig damit zu beschäftigen.
„Und zwar nicht abstrakt“, sagt er, „sondern dort, wo ich aufgewachsen bin, also im Oberen Drautal und auch in Osttirol. Und das ist, was ich heute noch tue, unter Einbeziehung der internationalen Ebene.“




Inspiration für Tarantino

Die Forschung führte ihn nach England und Amerika: „Lokalforschung muss nicht Lokalforschung bleiben“, ist der 50-Jährige überzeugt.
„Es geht in die Welt und wieder zurück in die lokalen Zusammenhänge.“ Dies verdeutlichte er auch in seinen beiden letzten Büchern. In „Codename Brooklyn“ beispielsweise geht es um jüdische Flüchtlinge aus Europa, die in den USA zu Agenten ausgebildet wurden und im Frühjahr 1945 in Tirol für den US-Geheimdienst arbeiteten. Ihre „Operation Greenup“ trug wesentlich zur gewaltlosen Befreiung Innsbrucks bei. Für US-Regisseur Quentin Tarantino dienten solche Einsätze als Inspiration für seinen international ausgezeichneten Film „Inglourious Basterds“.


Auf die Frage, warum seine Arbeit wichtig sei, antwortet Pirker bescheiden. Anfangs hätte er geforscht, weil es für ihn selbst wichtig gewesen sein. Im Laufe der Zeit hat er gemerkt, dass seine Arbeit auch bei anderen Menschen großes Interesse weckte, vor allem bei Angehörigen von Widerstandskämpfern und NS-Opfern in Oberkärnten und Osttirol.
„Viele hatten nach 1945 keine Gelegenheit, die Geschichte zu rekonstruieren. Da gab es aber ein ungeheures Bedürfnis zu erfahren, was passiert ist. Auf Basis wissenschaftlicher Forschung konnten wir mit dem Oberdrautaler Kulturverein „kuland“ so weit helfen, dass Betroffene auch noch Unterstützung bzw. eine Entschädigung erhielten. Offensichtlich gab es ein großes Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte der NS-Zeit – und es ist in den vergangenen 20 Jahren gestiegen. Wir unterstützen noch immer Angehörige der Opfer des Nationalsozialismus, haben Anfragen aus ganz Europa, den USA und auch aus Russland.“


„Daheim kann überall sein.“

Seine Arbeit lässt Pirker auch Zeit, immer wieder in die Region zurückzukehren. „Ich war ja nie wirklich weg“, sagt er. In Lienz sei er schon immer gern gewesen und in den Bergen sowieso. Im Winter auch zum Skifahren. Als Kind, erinnert er sich, war er oft mit dem Vater in Osttirol unterwegs, Speck und Würste verkaufen. Heute führt ihn die Forschung nach Tirol, Slowenien und ins Friaul.


Ist die Region hier seine Heimat? „Heimat ist ein Begriff, den ich kaum verwende“, sagt er. „Für mich gibt’s so etwas wie daheim, das ist an verschiedenen Orten und ändert sich auch.“ Er spricht über Orte seiner Kindheit und Jugend, aber auch seine Wohnung in Wien und jetzt in Innsbruck. Wenn ihn seine Forschungen nach England und in die USA führen haben, „bin ich auch dort bei Freunden daheim. Aber, betont er, er sei noch nie in der Situation gewesen, einen Ort verloren zu haben. Da sei es einfach zu sagen, dass einem der Begriff Heimat nicht viel bedeute.

In Wien ist Pirker am liebsten in seiner Wohnung und im Café Eiles, klassisch, altwienerisch, im 8. Bezirk. Und in Osttirol? Die Antwort kommt schnell. Zu seinen Lieblingsorten zählen das Winkeltal bei Außervillgraten, das Debanttal und die Ödkarscharte im Winter – „das ist großartig.“




Doch auch wenn er hier ist – Urlaub und Arbeit trennt Pirker kaum. Er nutzt die Gelegenheit, um „lokale Quellen zu erschließen, Interviews zu führen, Fotos zu sammeln“. Im Winter genießt er zur Abwechslung die Skitouren.


Deserteure gesucht

Und die Überlegung, eines Tages ganz zurückzukommen? „Das kann durchaus sein, ist nicht ausgeschlossen. Wenn es sich ergibt …“ Auch sein aktuelles Projekt an der Universität Innsbruck führt Pirker übrigens oft in den Bezirk Lienz. „Deserteure der Wehrmacht, Verweigerungsformen, Verfolgung, Solidarität, Vergangenheitspolitik in Tirol“ heißt es. Die Recherchen führen in die Schweiz und bis nach Schweden, wo Deserteure Zuflucht gesucht haben.

„Osttirol spielt auch hier eine ganz wesentliche Rolle“, sagt er und weist darauf hin, dass sich jeder gern bei ihm melden kann, der einen Deserteur in der Familie hatte. Er macht nicht nur Interviews und Fallstudien, sondern es geht ihm – wie immer – auch um den Menschen, um
Rehabilitierung.



Weitere Informationen:  
www.peterpirker.at


© Peter Pirker


Autorin:
Monika Hoeksema

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