[Adventveranstaltung]

„Das Gehirn – jeder hat’s dabei. Es kommt ohne Gebrauchsanleitung, deswegen ist es manchmal ganz gut, man lernt ein bisschen darüber, wie es funktioniert.“ Mit diesen Worten leitete Prof. DDr. Manfred Spitzer im November seinen Vortrag im Rahmen von Vordenken für Osttirol in Nußdorf-Debant ein. 



Vordenken für Osttirol ist es gelungen, Manfred Spitzer, den bekannten Gehirnforscher, erstmals nach Osttirol zu holen. Der Mediziner und Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm gründete vor 18 Jahren das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen ZNL. Was er zum Thema „Denkende Menschen und Denkende Maschinen“ zu sagen hatte, hielt seine zahlreichen Zuhörer im Saal und via Livestream knapp zwei Stunden lang in Bann. 

Zunächst die Gemeinsamkeit von Gehirn und Computer: Beide verarbeiten Informationen. „Das war‘s aber auch schon“, sagt Spitzer. „Es gibt nichts, was unterschiedlicher ist als ein Gehirn und ein Computer.“ Denn: Der Computer hat eine Festplatte, auf der man begrenzt Daten abspeichern kann. Beim Gehirn gibt es keine Trennung von Verarbeitung und Speicherung. Es generiert dadurch sofort Wissen mit nahezu unbegrenztem Potenzial.

Von Trampelpfaden zu Straßen – die Verkabelung des Gehirns

Voraussetzung dafür ist die Verbindung von Nervenzellen untereinander, also das engmaschige Netzwerk aus Synapsen. Dieses wird im Großen und Ganzen in den ersten 20 Lebensjahren angelegt. Danach werden diese „Trampelpfade“ zu Straßen ausgebaut und damit relativ weit auseinanderliegende Hirngebiete miteinander verbunden. Spitzer bringt es auf den Punkt: „Man muss aus seinem Hirn schon bei Zeiten was machen, damit‘s gut funktioniert. Sonst funktioniert‘s halt nicht gut!“ Pfade die man in der Jugend nicht angelegt hat, lassen sich im Alter auch nicht begehen.

Beim sechsten Instrument geht’s schneller

„Wenn wir zwei Sprachen können, haben wir mehr Verbindungen im Hirn. Wer drei Sprachen spricht, hat noch stärkere Synapsen. Und die sorgen dafür, dass die Sprachzentren besser funktionieren. Das Gehirn hat eine paradoxe Eigenschaft: Der Speicher ist nie voll. „Wenn einer fünf Instrumente spielen kann, lernt er das sechste schneller. Je mehr Sie können und wissen, desto leichter ist es, weiter zu lernen“, erklärt Spitzer

Jeder Bildungs-Euro in den Kindergarten

Prof. Spitzer appelliert: „Wenn man einen Euro in Bildung stecken will, dann packt man den am besten in den Kindergarten. Das Gehirn kann umso besser lernen, je mehr es schon gelernt hat.“ Eben ganz anders als beim Computer, der irgendwann eine volle Festplatte hat. Und Spitzer kommt schnell auf das Thema Smartphones bei Kindern.

Schule bedeutet Demenz-Prophylaxe

Kinder zu früh vor Bildschirme wie ein Smartphone zu setzen, ist „ein aktiver Beitrag zur Lernbehinderung im Leben.“ Tatsächlich haben Gehirnforscher erst in den vergangenen fünf Jahren erkannt, dass, je mehr in der Kindheit erlernt wurde, desto später die Demenz einsetzt. Und: „Ihre geistige Leistungsfähigkeit mit 20 sagt voraus, ob Sie mit 75 dement sind oder nicht. Schule bedeutet Demenz-Prophylaxe.“ 

Und er nennt gleich Beispiele, die gut sind fürs Gehirn: Dazu zählt Singen ebenso wie das Musizieren, der Sport oder Theater spielen. Menschliche Bindungen, Familie und eine sinnvolle Arbeit tragen ebenso zu einem gesunden Gehirn bei wie eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben im Alter. 

Mit Augenmaß die Entwicklung mitbestimmen

Aber Prof. Spitzer sieht auch positive Seiten an der Digitalisierung. Und die Aussichten? Sind nicht so schlecht. Spitzer sieht es gelassen: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass manche Maschinen besser sind als wir und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Maschinen selbst kreativ sein werden. Und wir werden hoffentlich mit Augenmaß die Entwicklung mitbestimmen.“ Dazu braucht es aber Köpfchen und Weitblick.

Was uns weiterbringt sind beispielsweise Computer, die alte Keilschriften entziffern können, die Galaxien dort entdecken, wo ein Mensch keine Chance hat, die im Gesundheitswesen für die Forschung gegen Krankheiten eingesetzt werden. „In Sachen Künstlicher Intelligenz passiert gerade ganz viel, und wir sollten nicht so tun, als gebe es sie nicht.“ 

Osttirols Chancen

Auf die abschließende Frage, wie man die Entwicklung Künstlicher Intelligenz in einer Region wie Osttirol positiv nutzen, sich aber vor negativen Auswirkungen schützen könne, hat Spitzer eine klare Meinung und schmunzelt ein bisschen: „Wenn Sie eine kleine abgeschirmte Region wie Osttirol sind, dann haben Sie die Chance unter dem Radar zu fliegen und ihren eigenen Weg zu gehen. Investieren Sie in die Bildung ihrer Kinder, lassen Sie sie in der Natur spielen und stärken Sie Freundschaften. Mit diesen Fähigkeiten kann die nächste Generation den Chancen und Nebenwirkungen von Künstlicher Intelligenz erfolgreich begegnen. Nutzen Sie ihre Chance hier in Osttirol.“

„Die Vordenker für Osttirol werden diese Empfehlung von Prof. Spitzer gerne aufgreifen und bei den Themen lebenslanges Lernen, Investitionen in nachhaltige Bildung und Digitalisierung weiter am Ball bleiben“, ergänzt Barbara Hassler vom Organisationsteam. 

Neugierig geworden? Hier geht’s zur Aufzeichnung des Vortrags von Prof. DDr. Spitzer: https://bit.ly/3Gy1L3i

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